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Der Begriff Blässe (medizinisch: Pallor) beschreibt eine auffällige Aufhellung der Haut oder Schleimhäute, die oft auf eine verminderte Durchblutung oder einen reduzierten Hämoglobingehalt im Blut hinweist. Sie kann lokal begrenzt oder generalisiert auftreten und ist in vielen Fällen ein wichtiges diagnostisches Zeichen für zugrundeliegende Erkrankungen. Die Ursachen reichen von harmlosen vorübergehenden Zuständen bis hin zu schweren systemischen Störungen.
Allgemeine Beschreibung
Blässe entsteht durch eine verminderte Sauerstoffsättigung des Blutes (Hypoxie) oder eine reduzierte Durchblutung der Hautgefäße (Vasokonstriktion). Im Gegensatz zu einer natürlichen hellen Hautfarbe, die genetisch bedingt ist, tritt medizinisch relevante Blässe plötzlich oder progredient auf und ist oft mit weiteren Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel oder Atemnot verbunden. Die Beurteilung erfolgt klinisch durch Inspektion der Haut, der Lippen, der Mundschleimhaut und der Nagelbetten, wobei letztere bei Anämie typischerweise besonders auffällig aufgehellt erscheinen (Nagelbettblässe).
Pathophysiologisch lässt sich Blässe in drei Hauptkategorien einteilen: anämische Blässe (durch Hämoglobinmangel, z. B. bei Eisenmangelanämie), ischämische Blässe (durch Minderdurchblutung, z. B. bei Schock oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit) und spastische Blässe (durch Gefäßverengung, z. B. bei Kälteexposition oder Raynaud-Syndrom). Eine Sonderform ist die pseudoanämische Blässe, die bei starker Vasokonstriktion (z. B. durch Angst oder Unterkühlung) auftritt, ohne dass eine eigentliche Anämie vorliegt. Die Differenzialdiagnose erfordert oft laborchemische Untersuchungen wie ein kleines Blutbild (Hämoglobin, MCV, MCH) oder eine Sauerstoffsättigungsmessung (Pulsoxymetrie).
Klinisch wird Blässe häufig mit anderen Hautverfärbungen verwechselt, etwa der Zyanose (bläuliche Verfärbung durch Sauerstoffmangel) oder der Ikterus (gelbliche Verfärbung bei Lebererkrankungen). Im Gegensatz zur Zyanose, die auf eine zentrale oder periphere Hypoxie hinweist, deutet Blässe primär auf eine Reduktion des zirkulierenden Hämoglobins oder eine gestörte Mikrozirkulation hin. Bei Neugeborenen kann eine ausgeprägte Blässe auf eine fetale Erythroblastose (Rhesus-Unverträglichkeit) oder eine septische Erkrankung hindeuten und erfordert sofortige diagnostische Abklärung. Chronische Blässe, insbesondere bei Kindern, sollte immer an eine mögliche Malabsorption (z. B. Zöliakie) oder parasitäre Infektionen (z. B. Wurmbefall) denken lassen.
Pathophysiologische Mechanismen
Die Entstehung von Blässe ist eng mit der Regulation der Hautdurchblutung und dem Sauerstofftransport im Blut verbunden. Hämoglobin, der rote Blutfarbstoff in den Erythrozyten, ist für die typische rosige Farbe der Haut verantwortlich. Bei einem Mangel an Hämoglobin (Anämie) oder einer verminderten Erythrozytenzahl sinkt die Sauerstoffkapazität des Blutes, was zu einer Aufhellung der Haut führt. Dieser Mechanismus ist besonders ausgeprägt bei hypochromen Anämien (z. B. Eisenmangelanämie), wo die Erythrozyten kleiner und hämoglobinarm sind (mikrozytäre Anämie).
Ein weiterer zentraler Faktor ist die Vasokonstriktion, also die Verengung der Blutgefäße in der Haut. Diese wird durch das sympathische Nervensystem gesteuert und kann durch Kälte, Stress oder bestimmte Medikamente (z. B. Betablocker) ausgelöst werden. Bei einer zentralen Vasokonstriktion (z. B. im Schock) wird das Blut aus der Peripherie in die vitalen Organe umverteilt, was zu einer generalisierten Blässe führt. Lokale Vasospasmen, wie sie beim Raynaud-Syndrom auftreten, führen dagegen zu einer umschriebenen Blässe der Finger oder Zehen, oft begleitet von Taubheitsgefühl und Schmerzen. Eine gestörte Mikrozirkulation, etwa bei diabetischer Mikroangiopathie, kann ebenfalls eine chronische Blässe verursachen, da die Kapillaren nicht mehr ausreichend durchblutet werden.
Seltener liegt der Blässe eine Hämoglobinopathie zugrunde, bei der das Hämoglobin strukturell verändert ist (z. B. Sichelzellanämie). Hier kommt es durch die veränderte Form der Erythrozyten zu einer erhöhten Hämolyse (Zerstörung der roten Blutkörperchen), was ebenfalls zu einer verminderten Sauerstofftransportkapazität führt. Bei der autoimmunhämolytischen Anämie zerstören Antikörper die eigenen Erythrozyten, was zu einer akuten Blässe mit Ikterus (durch Bilirubinabbau) und Splenomegalie (Milzvergrößerung) führen kann. Laborchemisch zeigt sich hier eine erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH) und ein erniedrigter Haptoglobinspiegel als Hinweis auf die Hämolyse.
Diagnostische Abklärung
Die Abklärung von Blässe beginnt mit einer gründlichen Anamnese, die Fragen nach Begleitsymptomen (z. B. Müdigkeit, Schwindel, Atemnot), Ernährungsgewohnheiten (Eisenmangel?), chronischen Erkrankungen (z. B. Niereninsuffizienz) und Medikamenteneinnahme (z. B. Chemotherapeutika) umfasst. Die körperliche Untersuchung konzentriert sich auf die Inspektion der Haut, Schleimhäute und Nagelbetten sowie die Palpation von Lymphknoten, Milz und Leber. Ein einfacher Test ist der Nagelbett-Drucktest: Nach kurzzeitigem Druck auf das Nagelbett sollte sich dieses innerhalb von 2 Sekunden wieder rosig färben; eine verzögerte Rekapillarisierung spricht für eine Minderdurchblutung.
Laborchemisch ist das kleine Blutbild der nächste Schritt, wobei besonders der Hämoglobinwert (Hb), der MCV-Wert (mittleres Erythrozytenvolumen) und der MCH-Wert (mittlerer Hämoglobingehalt der Erythrozyten) aussagekräftig sind. Ein erniedrigter Hb-Wert (< 12 g/dl bei Frauen, < 13 g/dl bei Männern) bestätigt eine Anämie, während der MCV-Wert Hinweise auf die Ursache gibt:
- MCV < 80 fl: Mikrozytäre Anämie (z. B. Eisenmangel, Thalassämie)
- MCV 80–100 fl: Normozytäre Anämie (z. B. chronische Erkrankungen, Niereninsuffizienz)
- MCV > 100 fl: Makrozytäre Anämie (z. B. Vitamin-B12-Mangel, Alkoholabusus)
Bei Verdacht auf eine hämolytische Anämie werden zusätzliche Parameter wie Bilirubin, LDH, Haptoglobin und der direkte Coombs-Test (Nachweis von Antikörpern auf Erythrozyten) bestimmt. Eine Knochenmarkpunktion ist nur bei unklaren Fällen oder Verdacht auf eine hämatologische Systemerkrankung (z. B. Leukämie) indiziert. Bildgebende Verfahren wie die Dopplersonographie (bei Verdacht auf Gefäßstenosen) oder die Abdomensonographie (Milzgröße, Leberveränderungen) ergänzen die Diagnostik. Bei Neugeborenen mit Blässe sollte immer ein Bilirubinwert bestimmt werden, um einen Morbus haemolyticus neonatorum auszuschließen.
Anwendungsbereiche
- Klinische Diagnostik: Blässe ist ein Leitsymptom in der Innerer Medizin und Pädiatrie, das auf Anämien, Kreislaufstörungen oder Infektionen hinweist. Sie dient als Ausgangspunkt für weitere diagnostische Schritte wie Blutbildanalysen oder Bildgebung.
- Notfallmedizin: Eine plötzlich auftretende, generalisierte Blässe kann auf einen hypovolämischen oder septischen Schock hindeuten und erfordert sofortige Maßnahmen wie Volumensubstitution oder Katecholamingabe.
- Hämatologie/Onkologie: Chronische Blässe bei älteren Patienten kann erstes Zeichen einer myelodysplastischen Erkrankung oder einer Leukämie sein, die eine Knochenmarkdiagnostik erfordert.
- Allgemeinmedizin: In der Hausarztpraxis ist Blässe oft Hinweis auf Eisenmangel (z. B. bei starken Menstruationsblutungen oder vegetarischer Ernährung) und wird durch Substitutionstherapie behandelt.
- Neonatologie: Bei Neugeborenen ist Blässe ein Warnzeichen für neonatale Anämien, Infektionen oder Stoffwechselstörungen und erfordert eine sofortige pädiatrische Abklärung.
Bekannte Beispiele
- Eisenmangelanämie: Die häufigste Ursache für Blässe weltweit, besonders bei Frauen im gebärfähigen Alter und Kindern. Typisch sind zusätzlich brüchige Nägel, Haarausfall und Müdigkeit.
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK): Hier zeigt sich eine lokale *Blässe der Beine, besonders beim Gehen (Claudicatio intermittens), verbunden mit Schmerzen und kühlen Extremitäten.
- Raynaud-Syndrom: Episodische, schmerzhafte Blässe der Finger oder Zehen durch Vasospasmen, oft ausgelöst durch Kälte oder Stress. Die Haut verfärbt sich anschließend blau (Zyanose) und dann rot (reaktive Hyperämie).
- Aplastische Anämie: Seltene, aber schwere Form der Blässe durch Versagen des Knochenmarks, das zu einem Mangel aller Blutzellen (Panzytopenie) führt. Ursachen können toxisch (z. B. Benzol), infektiös (z. B. Parvovirus B19) oder idiopathisch sein.
- Hypovolämischer Schock: Lebensbedrohliche Blässe durch massiven Blutverlust (z. B. nach Trauma) oder Flüssigkeitsverlust (z. B. bei schwerem Durchfall), verbunden mit Tachykardie und Hypotonie.
Risiken und Herausforderungen
- Fehldiagnosen: Blässe kann mit anderen Hautverfärbungen wie Vitiligo (weißliche Flecken) oder Hypopigmentierung (z. B. bei Neurofibromatose) verwechselt werden. Eine genaue Anamnese und Untersuchung ist essenziell, um falsche Therapieentscheidungen zu vermeiden.
- Unterschätzung chronischer Anämien: Leichte Blässe wird oft als "normal" abgetan, besonders bei älteren Patienten. Unbehandelte Anämien können jedoch zu Herzinsuffizienz oder kognitiven Einschränkungen führen.
- Akute Lebensgefahr: Bei plötzlicher, generalisierter Blässe mit Schwindel und Bewusstseinsstörungen (z. B. bei innerer Blutung oder Lungenembolie) zählt jede Minute. Verzögerte Diagnostik kann tödlich enden.
- Therapieresistenz: Bei einigen Formen der Blässe, wie der renalen Anämie (durch Erythropoetinmangel bei Niereninsuffizienz), sprechen Patienten schlecht auf Eisen- oder Vitamin-Substitution an. Hier sind spezifische Therapien wie Erythropoetin-Gabe nötig.
- Psychosoziale Folgen: Chronische Blässe, besonders bei sichtbaren Schleimhautveränderungen, kann zu Stigmatisierung oder sozialem Rückzug führen, etwa bei Patienten mit Fanconi-Anämie (seltene genetische Erkrankung mit schwerer Anämie).
Ähnliche Begriffe
- Zyanose: Bläuliche Verfärbung der Haut oder Schleimhäute durch erhöhte Konzentration von reduziertem Hämoglobin (Sauerstoffmangel). Im Gegensatz zur Blässe deutet sie auf eine Störung der Sauerstoffaufnahme (z. B. Lungen- oder Herzerkrankungen) hin.
- Ikterus: Gelbliche Verfärbung von Haut und Skleren durch erhöhte Bilirubinwerte, typisch bei Lebererkrankungen oder Hämolyse. Kann gemeinsam mit Blässe bei hämolytischen Anämien auftreten.
- Erythem: Rötung der Haut durch erhöhte Durchblutung (z. B. bei Entzündungen oder Fieber). Das Gegenteil von Blässe, oft als Begleitsymptom bei Infektionen.
- Hypopigmentierung: Lokale Aufhellung der Haut durch Melaninmangel (z. B. bei Vitiligo oder Narben). Im Gegensatz zur Blässe ist sie nicht reversibel und nicht durchblutungsabhängig.
- Kachexie: Ausgeprägte Abmagerung mit blass-grauer Hautfarbe, oft bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen oder schwerer Malnutrition. Die Blässe ist hier Folge von Anämie und reduziertem Unterhautfettgewebe.
Zusammenfassung
Blässe ist ein vielschichtiges klinisches Symptom, das von harmlosen Ursachen wie Kälteexposition bis hin zu lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Schock oder Leukämie reichen kann. Die Differenzialdiagnose erfordert eine systematische Abklärung, beginnend mit Anamnese und körperlicher Untersuchung, gefolgt von laborchemischen und bildgebenden Verfahren. Während akute Blässe oft notfallmedizinisches Handeln erfordert, bedürfen chronische Formen einer gezielten Therapie der Grunderkrankung – sei es durch Eisen- und Vitamin-Substitution, Behandlung von Infektionen oder Management hämatologischer Systemerkrankungen. Die Prognose hängt maßgeblich von der zugrundeliegenden Ursache ab, wobei frühzeitige Diagnostik und Therapie entscheidend sind, um Folgeschäden zu vermeiden.
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