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Osteomalazie ist eine systemische Knochenerkrankung, die durch eine gestörte Mineralisation des Knochengewebes gekennzeichnet ist. Sie führt zu einer Erweichung der Knochen und erhöht das Risiko für Frakturen und Deformitäten. Die Erkrankung tritt vor allem bei Erwachsenen auf und unterscheidet sich damit von der Rachitis, die im Kindesalter auftritt.
Allgemeine Beschreibung
Osteomalazie ist eine metabolische Knochenerkrankung, die durch einen Mangel an Vitamin D, eine gestörte Phosphataufnahme oder andere Mineralstoffdefizite verursacht wird. Der Name leitet sich aus dem Griechischen ab: *„osteon"* (Knochen), *„malakia"* (Erweichung). Die Krankheit führt dazu, dass die Knochenmatrix zwar gebildet wird, aber nicht ausreichend mit Kalzium und Phosphat mineralisiert wird. Dies resultiert in einer verminderten Knochendichte und strukturellen Instabilität.
Die häufigste Ursache ist ein schwerer Vitamin-D-Mangel, der entweder durch unzureichende Sonnenexposition, Malabsorption (z. B. bei Zöliakie oder chronischen Darmerkrankungen) oder eine gestörte Leber-/Nierenfunktion bedingt sein kann. Seltener sind genetische Defekte (z. B. Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I oder II) oder Medikamente (wie Antiepileptika oder bestimmte Chemotherapeutika) für die Entstehung verantwortlich. Phosphatmangel, etwa durch renale Verluste oder eine unausgewogene Ernährung, kann ebenfalls zu Osteomalazie führen.
Klinisch äußert sich die Erkrankung oft durch diffuse Knochenschmerzen, insbesondere in den unteren Extremitäten, dem Becken oder der Wirbelsäule. Betroffene klagen über eine erhöhte Frakturneigung, Muskelschwäche (proximale Myopathie) und Gangstörungen. Im fortgeschrittenen Stadium können Skelettdeformitäten wie O-Beine, Wirbelkörperverformungen oder ein „watschelnder" Gang (Trendelenburg-Gang) auftreten. Die Diagnose erfolgt durch Laboruntersuchungen (z. B. erniedrigtes Serum-Kalzium, erhöhtes alkalisches Phosphatase, 25-OH-Vitamin-D-Spiegel), Röntgenaufnahmen (Looser-Umbauzonen) und gegebenenfalls eine Knochenbiopsie.
Die Therapie zielt auf die Ursachenbekämpfung ab: Bei Vitamin-D-Mangel wird eine Substitution mit Colecalciferol (Vitamin D₃) oder Calcitriol (1,25-(OH)₂D₃) durchgeführt, oft kombiniert mit Kalzium und Phosphat. Bei Malabsorption oder Nierenfunktionsstörungen sind höhere Dosen oder parenterale Gaben notwendig. Begleiterkrankungen wie Hypophosphatämie erfordern eine gezielte Phosphatsupplementation. Regelmäßige Kontrollen der Serumwerte und knöcherne Verlaufsbeurteilungen sind essenziell, um Therapieerfolge zu überwachen und Komplikationen wie Hyperkalzämie zu vermeiden.
Pathophysiologie
Die Pathophysiologie der Osteomalazie beruht auf einem Ungleichgewicht im Knochenstoffwechsel, insbesondere in der Mineralisationsphase. Normalerweise wird die organische Knochenmatrix (Osteoid), die hauptsächlich aus Kollagen Typ I besteht, durch Einlagerung von Hydroxylapatit-Kristallen (Kalziumphosphat) verhärtet. Bei Osteomalazie ist dieser Prozess gestört, sodass das Osteoid unverkalkt bleibt und die Knochen ihre mechanische Stabilität verlieren.
Vitamin D spielt eine zentrale Rolle, da es die intestinale Kalzium- und Phosphataufnahme fördert und die Osteoklastenaktivität reguliert. Ein Mangel führt zu einer verminderten Kalziumresorption im Darm, was eine kompensatorische Ausschüttung von Parathormon (PTH) aus der Nebenschilddrüse auslöst. PTH mobilisiert zwar Kalzium aus den Knochen, hemmt aber gleichzeitig die renale Phosphatrückresorption, was den Mineralisationsdefekt verstärkt. Bei chronischem Verlauf kommt es zu einem „Hungry Bone Syndrome", bei dem der Knochen trotz ausreichender Zufuhr nicht mineralisieren kann.
Phosphat ist ebenfalls kritisch für die Hydroxylapatit-Bildung. Ein Mangel – etwa durch renale Verluste (z. B. bei Fanconi-Syndrom) oder genetische Defekte (wie X-chromosomale Hypophosphatämie) – hemmt die Mineralisation direkt. Auch eine Azidose (z. B. bei chronischer Niereninsuffizienz) kann die Osteoidreifung stören, da Wasserstoffionen mit Phosphat reagieren und unlösliche Salze bilden. Seltenere Ursachen umfassen Aluminiumintoxikation (bei Dialysepatienten) oder Fibrogenese-Imperfekta, eine genetische Kollagenstörung.
Diagnostik
Die Diagnostik der Osteomalazie stützt sich auf eine Kombination aus klinischer Präsentation, Laboruntersuchungen und bildgebenden Verfahren. Im Labor fallen typischerweise ein erniedrigter Serum-Kalziumspiegel (hypokalzämisch oder normokalzämisch bei sekundärem Hyperparathyreoidismus), eine erhöhte alkalische Phosphatase (als Marker für den Knochenumbau) und ein erniedrigter 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel (< 20 ng/ml) auf. Der Phosphatspiegel kann ebenfalls erniedrigt sein, besonders bei renalem Verlust.
Röntgenaufnahmen zeigen charakteristische Veränderungen wie pseudofrakturähnliche Aufhellungslinien (Looser-Umbauzonen), die vor allem an Rippen, Becken, Femur oder Metatarsalia auftreten. Die Knochendichtemessung (DEXA) ergibt oft eine verminderte mineralische Dichte, allerdings ist dies unspezifisch und kann auch bei Osteoporose vorkommen. Eine Knochenbiopsie mit Tetrazyklin-Markierung (doppelte Markierung im Abstand von 10–14 Tagen) gilt als Goldstandard: Sie zeigt eine verbreiterte Osteoidfläche und eine verlängerte Mineralisationszeit.
Differentialdiagnostisch müssen andere Knochenerkrankungen wie Osteoporose (hier ist die Knochenmatrix normal mineralisiert, aber reduziert), Hyperparathyreoidismus (erhöhtes PTH, oft mit subperiostaler Resorption) oder Knochenmetastasen ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf genetische Ursachen (z. B. Hypophosphatasie) sind spezifische Enzymtests (alkalische Phosphatase-Isoenzyme) oder Gentests sinnvoll.
Anwendungsbereiche
- Klinische Medizin: Die Osteomalazie ist ein zentrales Thema in der Endokrinologie, Nephrologie und Rheumatologie, da sie oft mit systemischen Erkrankungen wie chronischer Niereninsuffizienz, Malabsorptionssyndromen oder genetischen Störungen assoziiert ist. Die frühzeitige Diagnose und Therapie verhindert irreversible Skelettschäden.
- Ernährungswissenschaft: Die Erkrankung unterstreicht die Bedeutung von Vitamin D und Phosphat in der Ernährung, besonders bei Risikogruppen wie älteren Menschen, Schwangeren oder Personen mit dunkler Hautpigmentierung (geringere endogene Vitamin-D-Synthese).
- Pharmakologie: Die Behandlung mit Vitamin-D-Präparaten (z. B. Cholecalciferol, Calcitriol) oder Phosphatsupplementen erfordert präzise Dosierungsstrategien, um Nebenwirkungen wie Hyperkalzämie oder Nephrokalzinose zu vermeiden. Dies ist relevant für die Entwicklung von Therapieprotokollen.
- Public Health: In Regionen mit geringer Sonneneinstrahlung oder bei Populationen mit unausgewogener Ernährung (z. B. vegane Ernährung ohne Supplemente) sind Aufklärungsprogramme zur Prävention von Vitamin-D-Mangel essenziell.
Bekannte Beispiele
- Vitamin-D-Mangel-Rachitis/Osteomalazie in industrialisierten Ländern: Trotz ausreichender Nahrungsverfügbarkeit kommt es in nördlichen Breitengraden (z. B. Skandinavien, Kanada) oder bei Bevölkerungsgruppen mit geringer Sonnenexposition (z. B. verschleierte Frauen, Nachtarbeiter) gehäuft zu klinisch apparenten Fällen. Studien zeigen, dass bis zu 40 % der europäischen Bevölkerung suboptimale Vitamin-D-Spiegel aufweisen (Quelle: European Journal of Clinical Nutrition, 2016).
- Onkogene Osteomalazie: Eine seltene paraneoplastische Form, bei der Tumore (häufig mesenchymale oder phosphaturische Tumore) Fibroblast Growth Factor 23 (FGF23) sezernieren. Dies führt zu renalem Phosphatverlust und Osteomalazie. Die Entfernung des Tumors normalisiert oft die Laborwerte.
- Genetische Hypophosphatämie: Die X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) ist die häufigste genetische Ursache für Osteomalazie/Rachitis. Betroffene haben eine Mutation im PHEX-Gen, was zu erhöhten FGF23-Spiegeln und chronischem Phosphatmangel führt. Die Therapie erfolgt mit Phosphat und aktivem Vitamin D (Quelle: Bone, 2019).
- Malabsorption bei Zöliakie: Unbehandelte Zöliakie kann zu einer schweren Osteomalazie führen, da die entzündete Darmmukosa die Resorption von Vitamin D und Kalzium beeinträchtigt. Eine glutenfreie Diät und Supplementation führen meist zur Remission.
Risiken und Herausforderungen
- Spätdiagnose: Da die Symptome (Knochenschmerzen, Muskelschwäche) unspezifisch sind, wird Osteomalazie oft zunächst als Fibromyalgie, Depression oder degenerative Wirbelsäulenerkrankung fehldiagnostiziert. Dies verzögert die Therapie und erhöht das Risiko für pathologische Frakturen.
- Therapiekomplikationen: Eine übermäßige Vitamin-D- oder Kalziumsubstitution kann zu Hyperkalzämie, Nephrolithiasis (Nierensteinen) oder Nephrokalzinose führen. Besonders bei niereninsuffizienten Patienten ist eine engmaschige Überwachung erforderlich.
- Sozioökonomische Faktoren: In Entwicklungsländern ist die Erkrankung oft mit Unterernährung und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung assoziiert. Präventive Maßnahmen wie Nahrungsanreicherung (z. B. mit Vitamin D) oder kostenlose Supplemente sind hier entscheidend, aber schwer umsetzbar.
- Genetische Formen: Bei erblichen Hypophosphatämien ist die lebenslange Therapie mit Phosphat und aktivem Vitamin D aufwendig und teuer. Zudem kann es trotz Therapie zu Wachstumsstörungen oder dentalen Defekten kommen.
- Interaktion mit Medikamenten: Bestimmte Arzneimittel (z. B. Glukokortikoide, Schleifendiuretika, Protonenpumpenhemmer) können den Knochenstoffwechsel stören und eine Osteomalazie verschlimmern. Eine Medikamentenanamnese ist daher obligat.
Ähnliche Begriffe
- Rachitis: Eine mit Osteomalazie verwandte Erkrankung, die jedoch ausschließlich im Kindesalter auftritt. Durch den noch nicht abgeschlossenen Knochenwachstum kommt es zu typischen Deformitäten wie Rosenkranz (aufgetriebene Rippenknorpel), Harrison-Furche oder Kraniotabes (erweichter Schädel). Die Ursachen (Vitamin-D-Mangel, Phosphatmangel) sind identisch.
- Osteoporose: Im Gegensatz zur Osteomalazie ist die Knochenmatrix bei Osteoporose normal mineralisiert, aber die Knochenmasse insgesamt reduziert. Beide Erkrankungen können jedoch koexistieren, besonders bei älteren Patienten. Die Therapieansätze unterscheiden sich (z. B. Bisphosphonate bei Osteoporose vs. Vitamin D/Phosphat bei Osteomalazie).
- Hypophosphatasie: Eine seltene genetische Erkrankung, bei der ein Mangel des Enzyms alkalische Phosphatase zu einer gestörten Mineralisation führt. Klinisch ähnelt sie der Osteomalazie, jedoch sind die Serumspiegel der alkalischen Phosphatase erniedrigt (statt erhöht). Die Therapie erfolgt mit Enzymersatz (Asfotase Alfa).
- Renale Osteodystrophie: Ein Oberbegriff für Knochenveränderungen bei chronischer Niereninsuffizienz, die sowohl Osteomalazie (durch Phosphatretention und sekundären Hyperparathyreoidismus) als auch andere Störungen wie adynamische Knochenerkrankung umfassen kann.
- Fibrogenese Imperfekta: Eine extrem seltene genetische Störung der Kollagenbildung, die zu einer defekten Knochenmatrix führt. Die Mineralisation ist sekundär gestört, da das Osteoid nicht richtig strukturiert ist.
Zusammenfassung
Osteomalazie ist eine schwerwiegende, aber behandelbare Knochenerkrankung, die durch eine gestörte Mineralisation des Osteoids gekennzeichnet ist. Die häufigsten Ursachen sind Vitamin-D-Mangel, Phosphatverlust oder genetische Defekte, die zu einer Erweichung der Knochen und erhöhten Frakturgefahr führen. Die Diagnose erfordert eine Kombination aus Laborwerten, Bildgebung und gegebenenfalls einer Biopsie. Therapeutisch stehen die Substitution der fehlenden Substanzen (Vitamin D, Kalzium, Phosphat) und die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund.
Präventiv sind eine ausgewogene Ernährung, ausreichende Sonnenexposition und die frühzeitige Erkennung von Risikofaktoren (z. B. Malabsorption, Nierenfunktionsstörungen) entscheidend. Trotz der Verfügbarkeit effektiver Therapien bleibt die Osteomalazie eine Herausforderung, insbesondere in Populationen mit eingeschränktem Zugang zu medizinischer Versorgung oder bei komplexen genetischen Formen. Eine interdisziplinäre Betreuung durch Endokrinologen, Nephrologen und Ernährungsmediziner ist oft notwendig, um langfristige Komplikationen zu vermeiden.
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